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Buchrezension: „Sturmvögel“ von Einar Kárason – Katla Travel

Die Besatzung eines isländischen Fischtrawlers kämpft gegen einen fürchterlichen Polarsturm ums Überleben. Menschen in einer Ausnahmesituation auf See – kunstvoll verwebt Einar Kárason in „Sturmvögel“ innere und äußere Welten miteinander.

Die Entscheidung des Kapitäns, bei seit 20 Stunden tobender See und viel zu tief im Wasser liegendem Schiff die Rettungsboote über Bord zu werfen, muss unendlich schwer sein. Ein aktiver Verzicht auf die im äußersten Notfall einzige Überlebensmöglichkeit.

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In der Weite des Atlantiks

Aber die über und über Eis bedeckten Rettungsboote bringen den Trawler Mávur in immer größere Schieflage und müssen von Bord, um das Schiff noch etwas länger über Wasser zu halten.

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Gefährliche Arbeit an Deck eines Fischtrawlers wie der “Mávur”

Diese und andere Verzweiflungstaten beschreibt Einar Kárason, einer der wortgewaltigsten, zeitgenössischen isländischen Autoren im Roman „Sturmvögel“.

Ein junger Mann auf der Suche nach Abenteuer

Der achtzehnjährige Lárus heuert auf der Mávur an, er ist auf der Suche nach Abenteuer in der Ferne, nach einem guten Einkommen, um seine Familie zu unterstützen, und will seinem Vater, einem ehemaligen Seemann, nacheifern.

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Ein packender Roman ab der ersten Seite

Die Geschichte erzählt Lárus, der Matrose, in der dritten Person. So, als ob er sich unsicher sei, ob er das Geschehene wirklich selbst erlebt hätte, oder er sich nur dadurch den Schrecken auf See entziehen könnte. Auch Jahrzehnte nach der Fangfahrt.

Auf Fischfang vor der Küste Neufundlands

Am 29. Januar 1959, in der Dunkelheit der Nordnacht, verließ der isländische Trawler Mávur (“Möwe”) Reykjavík.

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Fischtrawler in schwerer See vor Island

An der Südspitze Grönlands führte der Weg vorbei bis zur Neufundlandbank vor Nordamerika. Kaum eine Woche später waren die Laderäume bis unter die Decke mit Rotbarsch gefüllt. 400 Tonnen Fisch, die nun nur noch an Land gebracht werden mussten.

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Seemann am Trawlerheck: Nichts für schwache Nerven

Die Fangmission war erfüllt, und die Besatzung der Mávur bereitete sich darauf vor, ihre kostbare Fracht nach Hause zu bringen, als über sie ein schrecklicher, mehrere Tage andauernder Eissturm hereinbrach.

Andere isländische und internationale Schiffe, die sich in der gleichen Situation befanden, sendeten Notsignale, doch niemand konnte praktische Hilfe leisten, da sich die Fischgründe in eine eisigkalte Hölle verwandelten.

„Sturmvögel“ basiert auf einer wahren Begebenheit

Lárus also erzählt die Geschichte der zweiunddreißigköpfigen Besatzung der Mávur. Eine Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht, die sich Ende der 1950er-Jahre zugetragen haben.

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18 Meter hohe Brecher schlagen auf das Deck der “Mávur”

Die Beschreibungen des extremen Wetters, das sowohl das Schiff als auch die Besatzung zu erdrücken scheint, sind eindringlich und irgendwie weltfremd – unvorstellbar für diejenigen, die solche außergewöhnlichen, lebensfeindlichen Bedingungen noch nie erlebt haben.

In diese Visionen eines schrecklichen Kampfes zwischen der unerbittlichen Natur und der menschlichen Psyche webt Einar Kárason die Emotionen der Seeleute, die ums Überleben kämpfen.

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Regenbogen im Nordatlantik, Grab für hunderte Seeleute

Eindrücklich gelingt ihm in „Sturmvögel“, im isländischen Original „Stormfuglar“, die Beschreibung der Polarfront und der 18 Meter hohen Brecher, die über das Deck der Mávur stürzen wie Lawinen, die von den kahlen Berghängen Islands rollen.

Ein Eispanzer legt sich auf den Trawler

Das unablässig auf das Schiff treffende Wasser läuft nur zum Teil ab, eine immer größer werdende Eisschicht legt sich über alles an Deck. Auf die Schleppnetzwinden, Spills, Kräne, Relings und Körbe. Das Gewicht des Eises drückt die Mávur immer tiefer ins Wasser, lässt sie sich immer langsamer nach einem weiteren Brecher aufrichten und droht so, vom nächsten Brecher endgültig zum Kentern gebracht zu werden.

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Aufgewühlter Atlantik vor Island

In dieser verzweifelten Situation gibt es nur eine Möglichkeit, das Schiff zu retten: Die Seeleute müssen das Schiff vom Eis befreien. Und hacken nun in unendlich langen Arbeitsschichten mit Hammern und Eisäxten den tonnenschweren Überzug von der Mávur. Begleitet von regelmäßig über das Deck schlagenden Brechern, extremen Seitenlagen des Schiffes, aus den Verankerungen gerissenen Tauen und Stahlketten.

Isländische Seeleute zwischen Ruhe und Hölle

Eine Sisyphosarbeit im Heulen und Toben der Natur. Diese Gewaltigkeit und Unerbittlichkeit kontrastiert Einar Kárason mit ausführlich geschilderten Szenen der Langsamkeit und Insichgekehrtheit.

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Bedrückende Atmosphäre auf dem Atlantik

Wie ein Seemann sich eine Zigarette aus der Packung klopft, sie anzündet und kunstvoll vor dem Wind in seiner Hand schützt. Wie die Männer beim Essensgeruch aus der Küche mit stiller Freude reagieren, um daraufhin wieder auf die Eisberge an Bord einzuschlagen.

Wie die Seeleute auf den Fahrten zu den Fanggründen in ihren Kojen liegen und die Bücher aus der Bibliothek von Reykjavík verschlingen: Lyrik von Steinn Steinarr oder David Stefánsson, Bücher über Schiffsunglücke vor Island, Die Islandglocke vom isländischen Literaturnobelpreisträger Halldór Laxness.

Sturmvögel“: Heißer Kaffee und eisige Temperaturen

In der nächsten Szene dann wieder die kämpfenden Männer an Deck, anschließend die Beschreibung, wie sie kurz zum Koch in die Kombüse kommen und sich gierig und ohne Besteck, damit es schneller geht, dampfende und ungepellte Kartoffeln, Hammel- und Schweinstücke in den Mund schieben. Gefolgt von einem niemals abreißenden Strom frisch gebrühten Kaffees.

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Roman “Sturmvögel” von Einar Kárason

Angst verspüren die Männer, die unablässig an Deck arbeiten, nicht, dort draußen können sie sich aktiv gegen ihr Schicksal stemmen. Die Angst, auch das beschreibt Einar Kárason eindrücklich, die Angst kommt in den kurzen Minuten der Ruhe unter Deck.

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Sturmvögel: Ständige Begleiter von Fischtrawlern

Manche spüren körperlich, wie nah sie dem Tod sind, und zittern am ganzen Leib, andere beginnen plötzlich, wie irre geworden zu lachen. Der Bootsmann, der sich einige Wochen zuvor noch aktiv aus dem Leben bringen wollte, fühlt nun, dass er auf keinen Fall im kalten, salzigen Nass untergehen will, und schlägt nach einer kurzen Pause umso entschlossener auf den Eispanzer des Trawlers ein.

Eisiger Tod und Überleben

Die Mávur hat den Eissturm überstanden, andere Schiffe nicht. Über 200 Seeleute verloren in diesem Sturm ihr Leben. Und obwohl das Ende bekannt ist, fesselt der Roman von Beginn an. Man frisst sich beim Lesen von „Sturmvögel“ fest und will immer noch einen Brecher weiterlesen, so spannend erzählt Einer Kárason.

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Sturmvögel über dem tobenden Atlantik

Das Buch „Sturmvögel“ erinnert an Ernest Shackeltons faszinierenden Bericht zur fehlgeschlagenen Endurance-Expedition in die Weiten des antarktischen Ozeans und hält einen bis zur letzten Seite im Bann.

Das Verschmelzen einzelner Menschen zu einem funktionierenden Ganzen, einem Team aus Verstand und Mut, Muskeln und Willen im Kampf gegen entfesselte Naturgewalten, das ist Einar Kárasons Idee des Romans „Sturmvögel“ und exzellent umgesetzt. Ein Buch wie ein Sturm. Und passend für den nächsten Winter auf der Couch und für den nächsten Islandurlaub, zum Beispiel im eigenen Ferienhaus im Winter

„Sturmvögel“ wurde von Kristof Magnusson übersetzt und ist bei btb erschienen. Hardcover Euro 18,–, Broschiertes Buch ab Euro 12,–

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Am Ende von “Sturmvögel” steht die Rückkehr nach Island

Bilder: Thomas Linkel (3), unsplash: Fer Nando (3), Annie Spratt, Matt Paul Catalano, Tim Marshall, Torsten Dederichs, Cody Chan, Jacek Dylag, flickr: Bergƥor Gunnlaugsson, Liam O´Reilly

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